Ich behaupte nicht, der große Männer-Pflüsterer zu sein. Dennoch ist es mir noch nie schwer gefallen, aus der Sicht eines Mannes zu schreiben, dabei sind gleich mehrere meiner Protagonisten und POV-Charaktere männlichen Geschlechts
Trotzdem. Ich weiß, dass das nicht jedem so geht. Darum habe ich beschlossen, meine Ansicht und Tipps zu dem Thema zu teilen.
1. Kein Mann ist wie eine Anderer
Man hört es immer wieder, meist von enttäuschten und/oder verlassenen Frauen: Männer sind doch alle gleich. Faul, unpunktlich, und nur am rumfurzen.
Ich möchte an dieser Stelle einmal das Gegenteil behaupten. Sie wie kein Ei dem anderen gleicht, gleichen sich auch zwei Männer nicht. Jeder hat andere Macken und Vorlieben, andere schlechte Angewohnheiten und liebenswürdige Eigenschaften.
Darum, bevor du überhaupt anfängst darüber nachzudenken aus der Sicht eines Mannes zu schreiben, wirf alle Klischees und Vorurteile über Board. Nimm dir ein unbeschriebenes Blatt zur Hand. Das ist der Mann, den du dir erschaffst.
2. Es gibt keine perfekten Männer
Vergiss Ken und Prinz Charming (wenn du nicht gerade vorhast für kleine Mädchen zu schreiben). Echte Männer – echte Menschen – haben Ecken und Kanten und Makel und Narben.
Besonders im Romance-Genre ist es eine beliebte Methode, den Mann weichzuwaschen, ihm ein perfektes Gesicht und ein einziges, traumatisches Kindheitserlebnis mitzugeben, aus dem all seine vermeindlichen Fehler und Charakterschwächen resultieren. Der Arme.
Die Wahrheit ist jedoch, willst du realistisch schreiben, kannst du musst du die Sache ein wenig anders angehen.
Vergiss perfekte Gesichter. Zwar gibt es die auch in der Realität, doch 95% der Leute, denen man im Alltag begegnet, sind keine Models. Sie sind vielleicht etwas zu klein, haben einen Rettungsring, eine schiefe Nase (auch ohne Schläger-Vergangenheit). Deswegen sind sie trotzdem nicht (zwingend) unattraktiv.
Vergiss das eine, traumatische Kindheitserlebnis. Die Vergangenheit eines jeden Menschen setzt sich aus vielen kleinen Komponenten zusammen. Kaum jemand kann von sich behaupten: „Ich bin, wie ich bin, weil mein Vater mich mal geschlagen hat. Ansonsten war mein Leben immer wunderbar.“ Das ist nur totaler Quatsch, sondern auch feige. Jeder trägt selbst zu seiner eigenen Entwicklung bei und es ist ein Zeichen von Charakter, wie man mit Schicksalsschlägen umgeht – ob man ihnen nun ein Leben lang die Schuld für alles in die Schuhe schiebt oder daraus lernt und sich weiterentwickelt.
Die Welt ist bunt und vielfältig. Und genauso sollten deine Charaktere auch sein – egal ob Mann oder Frau, Kind oder Greis. Deswegen ist es immer besser, gleich mehrere Vertreter jeder Art in deiner Geschichte vorkommen zu lassen.
3. Ein Mann ist auch nur ein Mensch
Warum? Weil er (wie oben geschildert) weder ein Schwein noch ein himmliches Wesen ist.
(Nicht alles, was ich hier schildere, muss von Anfang an in deinem Plan stehen. Manche Lücken füllen sich während des Schreibens wie von selbst.)
Ein Mensch hat Wünsche
Wünsche, Träume, Sehnsüchte. Jeder strebt nach irgendwas, irgendwem. Welche Werte dein Mann anstrebt, hängt von seiner Persönlichkeit ab und der Rolle, die du ihm in deiner Geschichte zugedacht hast.
Sind es ehrbare Werte wie Liebe und Anerkennung, Gerechtigkeit und Frieden? Dann tendiert er wahrscheinlich eher zur Seite der Protagonisten.
Sind es verwerfliche Werte wie Reichtum und Ansehen, Macht? Das sind dann meist die antagonisten Kräfte (aber nicht zwingend. Es gibt sehr viele gute Beispiele für durchtriebene, moralisch graue Charaktere in der Protagonistenrolle).
Ein Mensch hat Ängste
Jeder fürchtet sich vor irgendetwas. Sei es der Verlust geliebter Menschen, das eigene Versagen oder Kontrollverlust in jedwehiger Form. Das ist zutiefst menschlich.
Auch wenn manche (Männer) gern so tun, als würden sie nichts fürchten, haben sie doch vor irgendetwas Angst. Finde heraus, was das ist und wie er mit dieser Angst umgeht.
Ein Mensch hat eine Vergangenheit
Eine Vergangenheit, die aus mehreren, nicht immer zusammengehörenden Komponenten besteht. Dazu gehört natürlich zum einen die Kindheit, der Umgang im Elternhaus und mit eventuellen Geschwistern. Dazu gehören aber auch geplatzte Freundschaften, der Umgang mit anderen Kindern, die erste gefundene und verlorene Liebe, der erste Job, Enttäuschungen und Glücksmomente.
Jeder Mensch hat eine Auswahl dieser Erinnerungen. Du musst nicht alle kennen – selbst wenn du nur 3 oder 4 wichtigere Charaktere in deinem Buch hast, kann die Anzahl von deren Erinnerungen schnell in schwindelerregende Höhen wachsen und dir den Durchblick nehmen. Aber du solltest wenigstens ein paar davon kennen (etwa die wichtigsten 5) und immer im Hinterkopf behalten, dass da noch mehr sein könnte.
Ein Mensch hat Eigenheiten, Ticks
Ticks gibt es in den verschiedensten Varianten und Ausführungen. Jeder Mensch hat ein paar davon. Sei es die dumme Angewohnheit, niemals zuerst zu grüßen; sich an der Nase zu kratzen, wenn er nervös ist; Nägel zu kauen; peinlichst genau darauf zu achten, dass die Unterhose immer genau dieselbe Farbe hat wie das Hemd.
Solche Eigenheiten geben einer Person Tiefe, machen sie realer, greifbarer.
Dein Mann sollte auch welche haben. Und wenn du willst, darfst du an dieser Stelle sogar Dinge einbauen wie eine eine Überempfindlichkeit gegenüber dem berühmten Männerschnupfen oder die Tendenz am Esstisch zu furzen.
Ein Mensch liebt
Seien es Dinge, Personen, Tätigkeiten. Jeder Mensch liebt irgendwas. Und in der Regel hat er dementsprechend auch Angst, es zu verlieren (siehe Ängste).
Was genau er liebt (oder wen), ist wiederum abhängig vom Charakterder einzelnen Person.
Ein Mensch hasst
Ich bin kein hasserfüllter Mensch. Dennoch kann ich es absolut nicht ausstehen, wenn jemand im Bad Parfum oder Haarspray versprüht und ich dort dann noch rein muss. Wie soll man da atmen?!
Genauso sehr bringt es mich auf die Palme, eine Frau mit Kinderwagen rauchen zu sehen. Am besten, sie hat dann auch noch das Handy in der Hand und guckt nicht mal auf, wenn sie eine Straße überquert.
Jeder hat gewisse Abneigungen (ähnlich wie gewisse Vorlieben). Manche von denen sind rational nicht erklärbar.
Willst du ihn realistisch darstellen, finde ein bis zwei solcher Dinge für deinen männlichen Charakter.
4. Empathie
Empathie ist wohl eine der wichtigsten Eigenschaften, die man als Autor mitbringen sollte. Wie sonst sollte man es schaffen, sich in irgendeine Person hineinzuversetzten, die nicht man selbst ist?
Natürlich kann man es auch immer mit einem Mindestmaß an Empathie versuchen und argumentieren: „Diese Person tut und denkt und handelt so. Weil ich es sage.“
Jedoch wird man es mit dieser Einstellung schwer haben, die Charaktere wirklich realistisch und entsprechend dreidimensional darzustellen.
George R. R. Martin wurde mal gefragt, wie er es schafft, seine Charaktere so glaubhaft zu schreiben. Er meinte nur, er wisse nicht, wie es ist, ein 12-jähriges Mädchen zu sein. Aber er könne sich in ihre Situation hineinfühlen.
Diese Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, ihre Situationen und Gefühle nachzuempfinden, egal wie sehr sich sich von den eigenen unterscheiden mögen, ist meiner Meinung nach eine der wichtigsten Zutaten, um glaubhafte Charaktere zu schreiben.
Egal, ob Mann oder Frau, Greis oder Kind.